Das
Mysterium der
Kreuzigung Christi wird
auf dem Gelände des
Marienwallfahrtsortes in Górka Klasztorna
aufgeführt. Das
Kloster liegt im Zentrum der Krajna, ca. 2 km nordwestlich vom
Städtchen Łobżenica in der Woiwodschaft Grosspolen. Dieses
Marienheiligtum gehört zu den ältesten
Stätten der
Marienverehrung in Polen. Nach den Chroniken des Bernhardinerordens
soll hier im Jahre 1079 die Muttergottes mit dem Jesuskind einem Hirten
offenbart haben. Das geschah zwei Monate nach der Ermordung des
Krakauer Bischofs Stanislaus Szczepanowski und war die erste
Erscheinung der Muttergottes in Polen. Seit dieser Zeit hat das Wasser
aus einer nahegelegenen Quelle eine heilende Wirkung.
Górka Klasztorna ist eine Kalvarie im topographischen Sinne.
Sie
unterscheidet sich prinzipiell von anderen polnischen Kalvarien, die
schon im voraus als Verehrungsstätten der Kreuzigung Christi
erdacht und erbaut wurden. Seiner Baustruktur nach erinnert der
Muttergottes geweihte Ort an andere Stätten der
Marienverehrung.
Die erste Eichenholzkirche wurde im Jahre 1111 im Auftrag von
König Boleslaw Krzywousty von den sogenannten
„Łobżański-Brüdern’’ gebaut. In
dieser Kirche
befand sich das erste Bild der Muttergottes.
Im Jahre 1225 schenkte Wladyslaw Odonicz, der Herrscher dieses
Gebietes, das Kloster dem Orden der Zisterzienser. Trotz des
päpstlichen Segens von Gregor IX. nahm der Orden diese
Schenkung
nicht an. In der Zeit von 1404-1550 hatte der Augustinerorden das
Kloster in seiner Obhut.
Im Jahre 1622 beschloss der Richter von Nakło, den Bernardinerorden mit
der Leitung des Klosters zu betrauen.
Im Laufe von Jahrhunderten durchlebte das Kloster schwere
Schicksalsschläge. Mitte des 19. Jahrhunderts, infolge der von
den
preussischen Eroberern erklärten Aufhebung des Klosters, starb
der
letzte von den in Górka lebenden Brüdern des
Bernardinerordens. Seit dem Jahre 1923 haben die Missionare der
Heiligen Familie (MSF) das Kloster in ihrer Obhut. Sie haben das
religiöse Leben im Marienheiligtum neu belebt, das seit ihrer
Ankunft „Górka Klasztorna’’
genannt wird.
Im Herbst 1939 ermordeten die Nazis in dem nahegelegenen Ort Paterek
Priester und Brüder, die der Kongregation der Missionare von
der
Heiligen Familie angehörten. Im Klostergarten haben sie
außerdem 36 Menschen aus der näheren Umgebung
bestialisch
ermordet. Während des 2. Weltkrieges wurde auf dem
Klostergelände ein Internierungslager für
Ordensbrüder
und Priester aus den nahegelegenen Pfarrgemeinden errichtet.
Später wurden Juden, Polen und seit 1940 nach der Niederlage
bei
Dünkirchen, auch englische Kriegsgefangene im Lager
interniert. Um
das Martyrium aller ermordeten Menschen zu gedenken, haben
Bürger
aus der Umgebung von Łobżenica beschlossen, das Mysterium der
Kreuzigung Christi mit Hilfe der Geistlichen ins Leben zu rufen. Der
erste Gestalter und Regisseur der Passionsaufführung war Pater
Jan
Czekala MSF.
Das Drehbuch wurde an das Evangelium und dem Buch von Roman
Brandstätter unter dem Titel „Jesus aus
Nazareth”
angelehnt. Der ausgewertete Roman über das Leben Jesu war eine
Bereicherung für die Passionsaufführung. Viele
Dialoge,
verknüpft mit dem Neuen Testament, haben im großen
Maß
zur Gestaltung des Mysteriums beigetragen.
Die Rolle „Christi” spielten in dem Mysterium in
Górka die Priester. Seit der Zeit von P. Jan Czekala
MSF diese Rolle u.a. die Patres Stanislaw Michalik MSF, Tomasz
Gorecki MSF,
Marian Kołodziejczyk MSF, Marek Michalski MSF, Sławomir Wiktorowicz
MSF, Joachim Leszczyna MSF und Łukasz Grzonka MSF gespielt haben. Seit dem letzten Jahr die Hauptrolle gespielt P. Robert
Ablewicz MSF.
Das ganze Mysterium ist betreut und koordiniert vom Direktor und
Regisseur P. Piotr Gałązka MSF. Viele Fachkräfte sind
für diese große Aufgabe unentbehrlich, so. z. B.
Techniker
für Lautsprecher- anlage. Maskenbildner, Bühnenbildner,
Bürokräfte, Ordnungsdienste und viele Helfer. Sie
alle tragen
zum Gelingen einer so umfangreichen religiös-kulturellen
Veranstaltung bei.
Bemerkenswert sind die realistischen Bilder der Geisselung und
Kreuzigung, die dazu beitragen, dass die Aufführung ganz
authentisch wirkt. Eine Neuigkeit ist die extra für das
Mysterium
1998 komponierte Musik, die von Robert Kanaan aus Posen stammt.
Um möglichst einen professionellen Charakter und eine
realistische
Darstellung des Martyriums zu vermitteln, nehmen an der Veranstaltung
über 100 Laienschauspieler mit entsprechenden
Kostümen teil.
Das ist das einzige Mysterium, in dem die meisten Rollen von
Laienschauspielern gespielt werden, was zur Bildung und Entwicklung der
christlichen Kultur beiträgt. Im Alltag sind sie einfache
Bauern.
Die Hauptrollen in den Aufführungen werden seit vielen Jahren
von
denselben Personen gespielt. Die Menschen, die an den Passionsspielen
teilnehmen, sind in der lokalen Gesellschaft bekannte
Persönlichkeiten. Die Rollen, die von ihnen gespielt werden,
haben
einen gewissen Einfluss auf ihr Alltagsleben.
Es ist vorgekommen, dass in der Probe ein Darsteller fehlte, weil sein
Kuh kalbte, oder ein Schlachter seine Arbeit unterbrach, um Zeit
für die Probe zu haben. Es kommen solche Ausdrucksweisen vor,
wie
z. B.: „Kaiaphas,
du hast heute drei
Kannen Milch geholt” oder wenn jemand sagt: „Das
sind Judaskinder”. Auf dise Weise vereinen sich Sacrum und
Profanum miteinander. Diese einfache Menschen sind sie ich oft dessen
nicht bewusst, dass sie vielleicht dem Himmel ein Stück
nähergekommen sind.
Die Handlung des Mysteriums spielt auf dem Erscheinungsplatz, an dem
Brünnlein, wo die Muttergottes erschienen sein soll. Hier
speisen
Christus und seine Jünger das heilige Abendmahl. Links von dem
in
den Eichenhain führenden Tor erhebt sich eine kleine
Anhöhe
- der Ölberg.
Am Glockenturm steht der Palast des Pilatus. Links von der
Hauptbühne befindet sich das Haus des Herodes, rechts davon
der
Sanhedrin und der Kaiaphassitz. Golgatha wurde einige hundert Meter vom
Erscheinungsplatz am Pfarrfriedhof angelegt. Ununterbrochen stehen die
Kreuze da.
Auf dem Offenbarungsplatz schauen die Zuschauer das fast
dreistündige „Theatrum Sacrum”
an. Die
Aufführung
beginnt mit der Szene im Kaiaphaspalast, wo sich die Zuschauer die
Vorbereitungen zur Festnahme Christi ansehen können. Die
Mitglieder des Sanhedrin sprechen mit Judas, sie führen
Gründe an, dass der lästige Prophet aus Nazareth
gefangengenommen werden sollte. Danach wird die Handlung in das
Abendmahlsaal verlegt. Die Schauspieler stellen hier die Szene aus dem
Evangelium dar, in der Christus seinen Jüngern die
Füße
wäscht.
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Während
des letzten Abendmahls setzt der Gottessohn die Eucharistie ein. Das
Brot vom Tisch wird den Zuschauern geschenkt. Dann wird die Handlung
des Mysteriums auf den Ölberg verlegt. Christus betet, dann
wird
er von Judas verraten und unter dramatischen Umständen
festgenommen.
Im Sitz des Hohenpriesters Annas bekommt Judas als Lohn für
den
Verrat an seine 30 Silberlinge. Jesus wird zum ersten Mal
verhört.
Inzwischen erscheinen im Erzpalasthof der Apostel Petrus und Maria in
Begleitung von Johannes und Jakob. Petrus wird von den Dienstleuten
Annas‘ wiedererkannt, er verleugnet seinen Meister und
flieht.
Johannes und Jakob bleiben mit Maria am Ort und werden Zeugen des
Prozesses Christi. In den folgenden Szenen des Dramas sehen die
Zuschauer Christus bei der gerichtlichen Untersuchung bei Kaiaphas,
Pilatus und Herodes. Die Frau des römischen Stadthalters legt
bei
Pilatus ein gutes Wort für Christus ein. Pilatus nutzt sein
Privileg, am Sabbat einen Häftling freizulassen. Das Volk soll
entscheiden, ob es Jesus oder Barabas sein soll; die Menge des Volkes
ist gegen Jesus eingestellt, und somit wird Barabas freigelassen und
Jesus zum Tode verurteilt.
Das Martyrium Christi beginnt mit der Geißelung. Auf der
Szene
erscheint Judas wieder. Der verzweifelte Verräter, vom
schlechten
Gewissen gequält, nimmt einen Strick, um sich zu
erhängen.
Bis zu dieser Szene spielt die Handlung im Raum des
Erscheinungsplatzes. Der Weg nach Golgatha führt aus dem
Klostergelände durch den Hain mit seinen
sechsundertjährigen
Eichen, der das Kloster südwestlich umringt. Die
Kreuzigungsszene
findet auf einer speziell dafür mit Erde
aufgeschütteten
Anhöhe.
Nach dem Tode am Kreuz wird der Leichnam Jesu vom Kreuz genommen und
den Schoß seiner Mutter gelegt.
Die Zuschauer spielen während der Aufführung wider
Willen mit
- sie spielen die Rolle der Menschenmenge aus dem Evangelium. Die
Menschen reagieren spontan, unvermutet. Es kommt manchmal vor, dass
Zuschauer dazu bereit sind, Christus von den brutalen Söldnern
zu
schützen, oder fangen an zu singen, wenn Jesus am Kreuz
stirbt.
Unter den Zuschauern gibt es auch Leute, die die Aufführung
verspotten und lächerlich machen.
Diese Bilder erinnern auch an die Szenen aus dem Evangelium, wo es
neben frommen Menschen auch gleichgültige gab. Diese
Ereignisse
tragen dazu bei, dass das Mysterium um so authentischer wirkt. Hier
noch eine Aussage einer Darstellerin, die die Rolle des ,,weinenden
Weibes” gespielt hat.
,,Ich befürchte, ob. sie nicht zu stark Jesus schlagen, ob.
die
Reiter ihm nicht zu sehr zusetzen! Es ärgert mich sehr, wenn
sich
einige Jugendliche über die Kreuzigungsszene Christi lustig
machen. Die älteren Zuschauer benehmen sich ganz anders - sie
weinen und beten”.
Die Atmosphäre des Mysteriums. Die Zuschauer und Darsteller
sind
von den biblischen Inhalten und Dialogen ganz gerührt. Der
Darsteller der Hauptrolle des Christus äußerte
folgendermaßen seine Empfindungen: ,,Vom Kreuz aus sieht man
die
Welt ganz anders, obwohl man nur ein einfacher Mensch ist. In dem
Moment konnte ich mich an mein ganzes vergangenes Leben erinnern, was
vermutlich, wie man so sagt, nur Menschen, die in Lebensgefahr sind,
erfahren. Wenn ich das Kreuz trage und die Kinder weinen, die Frauen
knien, dann vergesse ich, wer ich bin”.
Mysterium 2004. Aus dieser Tatsache ging eine gewisse Verpflichtung
hervor, die in der Tradition unseres Heiligtums verwurzelt ist. Die
Zeit des Martyriums, von den Anfängen bis in den 2. Weltkrieg
hinein, spiegeln Leiden und Tod wieder. Wir gedenken
alljährlich
dem Blutvergießen unschuldiger Menschen, die am Ort der
wunderbaren Erscheinung ermordet wurden.
Auf dem Kongress von Europassion in Thiersee/Osterreich wurde
über
die Tradition der Passionsspiele und über die daraus
hervorgehenden Verpflichtungen gesprochen. Welche Konsequenzen ergeben
sich daraus? Es geht nicht nur darum, dass wir die Rolle einer
Mysteriumskanzel spielen, sondern auch um die Vermittlung des
christlichen Menschenbildes und der Rückbesinnung der Menschen
auf
unseren Erlöser. Vor allem in den letzten Momenten des Lebens
sollte der Mensch sich Gott öffnen. Die Menschen sollten sich
mit
dem unbegreiflichen Bild der Gottesliebe, der seine Liebe zu der
Menschheit in seinem Sohn verkörpert hat, vereinen. Diese
Probleme
fordern eine Andacht und inneres Versunkensein in Gott. Vor uns stehen
schwierige Zeiten, neue Aufgaben kommen auf uns zu. Wir neue Formen der
Vermittlung finden, wie christliche Werte den Menschen
nähergebracht werden können, die sie als
Lebensinhalte
annehmen.
Europassion In der Zeit, wo vor allem in Europa um die Einheit vieler
Völker und den Frieden gekämpft wird, wollen auch wir
an
diesem Prozess teilnehmen. Wir wollen uns mit anderen Passionsorten in
Verbindung setzen, die das Martyrium Christi in Ehre halten. 53 Orte
der Passionsspiele, verbunden in einem Verein ,,Europassion”,
lassen uns an ein Europa ohne Grenzen denken. Zuerst müssen
aber
die menschlichen Herzen, Gedanken und Taten ,,Eins” werden,
erst
danach kann man an die Beseitigung der Grenzen denken.
Den Frieden erreicht man nicht durch Kriege und Wirtschaftskonkurrenz,
sondern durch Liebe. Christus möchte unsere großen
Staaten
heimsuchen. Zuerst müssen wir aber für Christus
unsere Herzen
öffnen, weil der Weg dann durch unsere kleine Herzen
führen
sollte. Christus will uns zeigen, dass Liebe alles bewirken kann. Diese
neuen Tendenzen in unserer Denkweise sind im Grunde genommen so alt wie
es Menschen gibt, aber sie müssen immer wieder entdeckt werden.
Die Teilnahme an der Europassion soll unser kleiner Beitrag
für
die menschliche Versöhnung sein, gemeinsam mit den anderen in
der
hohen Zahl in der Welt gespielten Passionsspiele.
Direktor des Mysteriums:
P. Piotr Gałązka MSF
e-mail: misterium@msf.opoka.org.pl
Kontakt in der Deutsche Sprache:
Marek Wegner
00 48 52 389 89 25
Musik:
Robert
Kanaan
Ton:
Henryk Szopiński
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